Frugalismus, finanzielle Freiheit, frühe Rente: Was steckt dahinter?
„Wat fott es es fott“? Sicher kein Frugalismus-Motto. Zumindest nicht in Sachen Geld. Denn wer frugal lebt, setzt auf Sparsamkeit: für Vermögensbildung und finanzielle Freiheit. Das Ziel: Living the dream. Aber funktioniert das wirklich? Wir verraten’s Ihnen!
Was ist Frugalismus überhaupt?
In Büchern, Blogs und Berichterstattungen begegnet uns immer wieder mal das Buzzword „Frugalismus“. Aber was ist damit eigentlich gemeint? Der Duden umschreibt „frugal“ mit „einfach“ und „bescheiden“, u. a. bezogen auf den Lifestyle. Für Frugalistinnen und Frugalisten ist vor allem der bewusste Umgang mit finanziellen Mitteln von Bedeutung. Sie reduzieren ihren Konsum. Sie geben weniger Geld aus. Sie investieren ihre Ersparnisse. Und warum? Um ein Vermögen zu schaffen und finanziell unabhängig zu werden: vielleicht schon mit 30, 40 oder 50 Jahren. Denn Finanzfreiheit bedeutet im Grunde, nicht mehr für Geld arbeiten zu müssen.
Aber nicht falsch verstehen: Frugal lebende Menschen wollen kaum den Rest ihres Lebens mit Beachpartys oder Netflix & Chill verbringen. Und nicht alle planen einen frühzeitigen Renteneintritt. Vielen geht’s eher um eine selbstbestimmte Work-Life-Balance und Zufriedenheit. Dabei sind die Motivationen für Frugalismus individuell und vielseitig, z. B.:
- Frei sein von beruflichen Verpflichtungen im 9-to-5-Hamsterrad
- Arbeitszeit verkürzen und in den „Teilzeit-Modus“ wechseln
- Tätigkeiten nachgehen, die Spaß und Erfüllung bringen
- Arbeits- und Freizeit nach eigenen Vorstellungen gestalten können
- Schuldenfrei sein und keine Geldsorgen haben
- Ein passives Einkommen durch Zinsen und Dividenden generieren
- Ressourcen schonen, nachhaltig leben, glücklich sein
Und woher kommt das alles? Bekannte Frugalistinnen und Frugalisten
Anfang der 1990er Jahre brachten Vicki Robin und Joe Dominguez in den USA ihre Vorstellungen von finanzieller Freiheit und Konsumbeschränkung mit dem Buch „Your Money or Your Life“ unters Volk. Leserinnen und Leser dieser „Finanzbibel“ begannen deren Konzepte umzusetzen: Geld sparen, Ressourcen schonen, finanziell unabhängig sein. Sie wurden Teil der sogenannten FIRE-Bewegung (Financial Independence, Retire Early), die in Zeiten der Wirtschaftskrise 2008/09 und durch einige private Finanzblogs Fahrt aufnahm.
Und auch der Kanadier Peter Adeney aka Mr. Money Mustache ist für viele Frugalismus-Fans ein echter Mentor. Der gelernte Software-Ingenieur erreichte durch Arbeit, Sparsamkeit und Investments mit 30 Jahren die finanzielle Freiheit. Anschließend kündigte er seinen Job und vermittelt sein Wissen seitdem u. a. als Blogger.
Wie funktioniert Frugalismus?
Die Regeln der Strategie lauten: Genügsam leben, Geld sparen und investieren, finanziell unabhängig werden. Simple as that? Nicht ganz.
Real wird ein solcher Traum nur durch Disziplin: Sparen statt Shopping-Exzesse, Luxus-Urlaube und teure Autos. Und erfolgreiche Vermögensbildung funktioniert auch nur mit entsprechenden Einnahmen: Schließlich muss man für sich (und möglicherweise seine Familie) den Lebensunterhalt finanzieren. Ein extremes Frugalismus-Modell wie „Rente mit 40“ ist deshalb sicher nicht für jedermann und -frau geeignet. Muss es aber auch nicht. Denn viel entscheidender ist es, überhaupt Geld zur Seite zu legen. Wieviel? Das hängt von der individuellen Situation ab. Und von der Bereitschaft zu einem bescheiden(er)en Lebensstil: Sie geben z. B. nach einer Gehaltserhöhung nicht automatisch mehr Geld aus? Glückwunsch, dann sind Sie schon auf einem guten Weg!
Geld sparen
Sie wollen wissen, wie mehr Geld für Investments übrigbleibt? Hier gibt‘s (Spar-)Tipps als Starthilfe. Im Frugalismus-Alltag haben kleine Steps manchmal große Wirkung:
- Reparieren statt neu kaufen
- Second-Hand-Shops nutzen
- Selbst kochen statt essen gehen
- Günstig Urlaub machen und nicht zu oft im Jahr verreisen
- Mit dem Fahrrad fahren, statt ein Auto zu besitzen
- Bei Neukäufen die 24h-Regel befolgen: Geben Sie sich einen Tag Bedenkzeit, ob es die Neuanschaffung wirklich braucht. So können Sie Impulskäufe vermeiden, die Sie später bereuen.
- Einen Überblick über Ausgaben haben, z. B. durch ein Haushaltsbuch via App
- Nicht benötigte Besitztümer verkaufen und tendenziell eher minimalistisch leben
Geld investieren
Die möglichen Sparmaßnahmen klingen machbar? Perfekt, dann heißt’s jetzt: Die Ersparnisse investieren, damit sich Ihr Guthaben im Idealfall vermehrt. Und Sie eventuell dank Zinsen und Dividenden sogar ein passives Einkommen haben. Zum Beispiel durch Wertpapiere, ETFs oder Investmentfonds. Übrigens: Weitere Infos zu ETFs und dem Thema Geld anlegen haben wir für Sie zusammengestellt.
Die Höhe (monatlicher) Sparraten und Investitionen ist individuell. Und hängt von persönlichen Faktoren ab, wie z. B.: Wie hoch sind Einkommen und Ausgaben? Ist man Single? Oder hat man eine (Ehe-)Partnerin, einen (Ehe-)Partner oder Kinder mitzuversorgen?
Manche Frugalistinnen und Frugalisten sparen nach eigenen Angaben 70 bis 80 Prozent des Einkommens. Tatsächlich? Ja, aber so hohe Quoten dürften für viele kaum zu stemmen sein. Und mal ehrlich: Schneller und garantierter Reichtum durch Frugalismus ist ohnehin utopisch. Denn auch (oder gerade) bei einem früheren Renteneintritt ist ein disziplinierter und bewusster Umgang mit Geld weiterhin entscheidend
Unser Tipp: Setzen Sie sich zunächst ein Ziel (siehe oben): Was wollen Sie durch Ihre frugale Lebensweise erreichen? Und dann einfach mal machen. Sind Sie noch unsicher, tasten Sie sich langsam heran. Man kann auch mit geringeren Sparraten und Investitionen starten und diese steigern, so wie es passt.
Beispiel: Sie haben ein Einkommen von 4.000 Euro netto im Monat und sparen davon 70 Prozent, das sind 2.800 Euro und Ihnen bleiben 2.200 Euro für Ihre laufenden Ausgaben.
Oder in der Light-Version: Verdienen Sie 2.500 Euro netto im Monat und legen davon etwa 40 Prozent zurück, macht das 1.000 Euro. Damit bleiben 1.500 Euro für die eigenen Ausgaben übrig.
Beim Frugalismus verzichtet man u. a. auf Überkonsum, beschränkt seine Ausgaben und investiert die Ersparnisse. Das Ziel: Kapital bilden, z. B. für einen frühen Renteneinstieg oder eine verkürzte Arbeitszeit. Minimalistinnen und Minimalisten wollen sich vor allem von Materiellem trennen. Und so Freiheit und Zeit gewinnen für Erlebnisse, Freundschaften und zwischenmenschliche Beziehungen. Übrigens haben beide Konzepte Gemeinsamkeiten, wie die Reduzierung von Besitztümern und ein bewusster(er) Lebensstil.
Wie viel Geld braucht man als Frugalistin oder Frugalist?
Aber jetzt mal Klartext: Wieviel Geld braucht man denn nun für die finanzielle Freiheit? Das kommt drauf an: Auf die gesetzten Ziele und die individuelle Geld- und Lebenssituation. Außerdem sollte man einen Überblick über sein Jahresbudget haben – Stichwort Haushaltsbuch. Will man ohne Job-Einkommen nur noch von seinem Kapital und den Erträgen leben, sollten die Rücklagen mindestens 25-mal höher als die jährlichen Ausgaben sein. Und wieso gerade diese Summe? Achtung, jetzt wird’s wissenschaftlich:
4-Prozent-Regel und Trinity-Studie
Die Berechnung basiert auf der Trinity-Studie der Trinity University in Texas aus dem Jahre 1998 – und der daraus folgenden 4-Prozent-Regel. Das Ergebnis der Forschenden in Kurzform: Hat man das 25-fache seiner Jahresausgaben angespart (und angelegt), kann man – theoretisch – jedes Jahr 4 Prozent davon ausgeben, ohne Pleite zu gehen. Zumindest für 30 Jahre – denn diese Zeitspanne liegt den Untersuchungen zugrunde.
Beispiel gefällig? Angenommen, Sie haben monatliche Fixkosten von 1.600 Euro: für Miete, Lebensunterhalt und Freizeit. Hochgerechnet auf 12 Monate betragen die jährlichen Gesamtausgaben also 19.200 Euro. Multipliziert man diese Summe mit 25, macht das 480.000 Euro: So viel Geld benötigen Sie in diesem Fall um finanziell frei zu sein. Laut der 4-Prozent-Regel dürften Sie davon dann jährlich maximal 19.200 Euro ausgeben, um im Ruhestand keine Geldsorgen zu haben. Wie gesagt: Für 30 Jahre.
Geldanlage in Wertpapiere
Aber woher kommen denn nun die angenommenen 480.000 Euro für die finanzielle Unabhängigkeit? Das ist das Ergebnis monatlicher Sparraten und Investitionen. Denn hat man seine Fixkosten mit 1.600 Euro pro Monat abgedeckt, kann man überschüssiges Geld zum Beispiel per Sparplan in einen weltweit gestreuten Aktien-ETF anlegen.
Beispiel:
- Startkapital: 0 Euro
- Monatliche Sparrate: 750 Euro
- Zeitraum: 20 Jahre
- Endsumme: 480.000 Euro
Übrigens: Der Motor Ihrer Investitionen ist der Zinseszinseffekt. Ihre Einzahlungen erwirtschaften Zinsen, die dann ebenfalls Rendite bringen. Gerade bei Wertpapieren lassen sich die Erträge jedoch nicht voraussagen und sind Schwankungen unterworfen. Der Idealfall: Mit einem ETF-Sparplan ein Vermögen aufbauen, das später die jährliche Entnahme Ihres benötigten Budgets aus dem Depot erlaubt. Und zwar ohne, dass Sie in den Folgejahren finanzielle Probleme bekommen. Sinnvoll ist es dabei nicht nur auf eine Anlageform zu setzen, sondern zu diversifizieren. Ein Anlagekonfigurator hilft Ihnen, einen guten Anlagemix zu finden.
Wichtig: Bei diesen Summen und Beispielen handelt es sich natürlich nur um grobe Richtwerteohne jede Garantie. Denn:
- Trinity-Studie und 4-Prozent-Regel beziehen sich auf einen 30-Jahres-Zeitraum.
- Investitionen in Aktien und ETFs sind immer auch mit Risiko verbunden: Niemand kann abschätzen, wie sich Geldanlagen künftig entwickeln.
- Es ist kaum vorhersehbar, ob sich Ihre Lebenssituation und damit die Ausgaben künftig mal deutlich ändern.
Aber: Die Nicht-Planbarkeit gilt natürlich auch für positive Aspekte. Vielleicht haben Sie ja auch trotz finanzieller Unabhängigkeit noch ein Einkommen – und wollen gar nicht jährlich 4 Prozent Ihres Ersparten „verbrauchen“. Ein Blick in die Glaskugel ist sowieso nicht möglich. Also gilt erstmal: Wenig ausgeben, viel sparen. Und das am besten so früh wie möglich.
Ob Aktien-, ETF- oder Fondsparpläne: Durch die regelmäßige Einzahlung kleiner Sparbeträge legen Sie den Grundstein für einen kontinuierlichen Vermögensaufbau.
Wie realistisch ist die Rente mit 30?
70 bis 80 Prozent des Einkommens sparen? Möglich bestimmt für manche. Realistisch wohl weniger für viele. Denn dafür braucht’s nicht nur Disziplin, sondern auch ein recht ordentliches Gehalt. Der Ruhestand vor dem gesetzlichen Rentenalter mit 30, 40 oder 50 Jahren bleibt für die Mehrheit der Berufstätigen wahrscheinlich ein Traum. Vor allem, wenn man durchschnittlich oder gering verdient.
Dr. Gabriele Widmann von der Deka (Wertpapierhaus der deutschen Sparkassen-Finanzgruppe) meint dazu: „Frugalisten und Frugalistinnen führen nicht nur während der Ansparphase ein sehr bescheidenes Leben, sondern rechnen meist auch für die Ruhestandsphase mit geringen Lebenshaltungskosten. Wer schon mit Mitte 30 aussteigt, muss möglicherweise mehr als 60 Jahre lang von seinem Vermögen leben können. Große Reisen oder kostenintensive Hobbys sind da nicht drin. Hier sollte sich jeder und jede selbst fragen, wie viel Geld er oder sie für einen erfüllenden Ruhestand benötigt, und ob sich das mit einem sehr frühen Abschied aus dem Erwerbsleben vereinbaren lässt.“
Die gute Nachricht ist aber: Auch wer weniger verdient, kann sich eine gute Altersvorsorge für den Ruhestand mit Mitte 60 aufbauen. Oder dank seiner Ersparnisse vielleicht schon etwas eher nur noch in Teilzeit arbeiten. Möglichst früh mit dem Sparen zu starten, ist dabei der Schlüssel zum Erfolg.
Fazit: Frugalismus – sparen ja, stressen nein
Sparraten, ETFs, 4-Prozent-Regel: Frugal zu leben kann anfangs etwas verwirrend sein. Aber: no pressure! Sich mit dem Thema beschäftigen, seine Ausgaben im Blick haben und anfangen zu sparen, ist die halbe Miete. Und vor allem: Setzen Sie sich am besten realistische Ziele, die zu Ihnen und Ihrem Leben passen.
Die „Rente mit 40“ haut nicht hin? So what, „et es wie et es“! Frugalismus ist viel mehr als nur Mathematik. Und kann durch einen bescheideneren Lifestyle zu (mehr) Umweltbewusstsein, finanzieller Sicherheit, Lebensgenuss und Zufriedenheit führen.